Literatur der Selbsthilfegruppe
Die Lektüre der Selbsthilfegruppe ist sicher nicht nur eine wertvolle Hilfe für Ertaubte, Schwerhörige und Gehörlose selbst, für ihre angehörigen und professionelle Helfer und Helferinnen, sonderN darüber hinaus ist es zu wünschen, daß auch von der Problematik nicht unmittelbar Betroffene Zugang finden und auf diesem Weg bewußter lernen, mit dem allzu selbstverständlichen hören umzugehen.
Neugierig?
Die Lektüre können Sie bei mir zum Selbstkostenpreis von 5 Euro erwerben.
Heiko Sieburg
Wöbekingstraße 42
49080 Osnabrück
Erstellt von der Selbsthilfegruppe der Schwerhörigen Osnabrück
September 2003, überarbeitet im Mai 2011
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Können Sie das Gras wachsen hören? Nein? Kein Grund zur Beunruhigung, no Panik! Aber: Überhören Sie manchmal die Tür- und Telefonklingel, wenn Sie im Zimmer nebenan sind? Verstehen Sie andere Menschen hin und wieder nicht, weil die so nuscheln? Stellen Sie den Fernseher etwas lauter ein als Ihre Familienangehörigen? – Wenn Sie wissen wollen, ob Ihren Ohren, auch wirklich nichts entgeht, sollte Sie auf Nummer sicher gehen: Ein Hörtest bringt Klarheit.
In modernen Massengesellschaften mit ihren komplexen sozialen Strukturen lassen sich zahlreiche Randgruppen ausmachen, die in einer mehr oder weniger angespannten Beziehung zur Majorität leben, die gut integriert scheinen oder die zumindest nicht so in Erscheinung treten, daß sie besondere Aufmerksamkeit erhalten. Eine dieser Randgruppen, die kaum im öffentlichen Bewußtsein auftaucht, sind die Gehörlosen und hier insbesondere die Spätertaubten, die während eines längeren Lebensabschnittes normal hören konnten und irgendwann durch eine Krankheit oder eine Unfall die Hörfähigkeit verloren. Sie bewegen sich relativ unauffällig in der Gesellschaft, sie fallen nicht durch ihr äußeres oder durch abweichendes Verhalten auf, sie verhalten sich lautlos im realen und übertragenen Sinn, fallen der Gesellschaft kaum zur last und zwingen sie daher auch nicht, sich mit ihrer Situation eingehend auseinander zusetzen.
Dennoch ist Kennern der Außenseiterproblematik bewußt, daß sie Situation solcher Randgruppen, die nicht durch spektakuläres, auffälliges Verhalten in Erscheinung treten, nicht weniger angespannt ist, da ihre Belastung kaum wahrgenommen wird. Das trifft in besonderer weise für Schwerhörige und Spätertaubte zu, sie sind in der Lage, sich visuell zu orientieren, sie können sich unauffällig bewegen, ihre intellektuellen Fähigkeiten sind nicht beeinträchtigt, sie stellen kein öffentliches Ärgernis dar, sie verfügen auch über keine Lobby, die lautstark für ihre rechte kämpft; kurzum, aus der Distanz der gesellschaftlichen Anonymität werden ihre Handicaps nicht wahrgenommen. Erst wenn man aus der nähe mit ihnen Kontakt tritt, tun sich massive Kommunikationsbarrieren auf, die fast unüberbrückbar erscheinen und die die zwischenmenschlichen Beziehungen erheblich belasten. Ertaubte wissen, wie einfach es sein kann, sich mit Worten zu verständigen; sie kennen die Schönheit der Musik, das unbeschwerte Vogelgezwitscher und den rollenden Donner. Während gehörlos aufgewachsene Zusätzlich zu ihrer Unauffälligkeit ergibt sich hier eine weitere Komplikation: Spätertaubte werden meist mit Personen gleichgesetzt, die von Geburt an gehörlos sind. Zwischen den beiden Gruppen besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied, selbst wenn das körperliche Erscheinungsbild gleich ist. Wer nie einen Laut oder ein Geräusch vernommen hat, lebt in gewisser weise in einer anderen Welt als die hörenden, an deren erleben er nie Anteil hatte. Ertaubte hingegen gehören bis zu einem bestimmten grad zur welt der hörenden, da sie laute, Geräusche, Musik und das gesprochene Wort kennengelernt haben. Es besteht jedoch der schmerzhafte unterschied, daß diese Erfahrung der Vergangenheit angehört und nun nicht mehr verfügbar ist. in einem land ohne töne geboren sind und hier ihre geistige Heimat haben, leben ertaubte in einem Exil, dem sie nicht mehr entrinnen können. Sie haben Schwierigkeiten, sich in der Verbannung zurecht zu finden, sie halten die Erinnerung an ihre Herkunft fest, entwickeln Fantasien über die Welt der töne und laufen dabei Gefahr, die aktuelle Realität aus dem Auge zu verlieren und dem Land, in dem sich befinden, nicht zurecht zu finden.
Diese klischeehaften Sätze geben jedoch kaum einen Einblick in die schwierige Situation der spätertaubten und den Schwerhörigen, die nicht nur Laien viel zu wenig bekannt ist, sondern auch von Fachleuten noch kaum genauer erforscht ist.
Dabei ist gutes Hören aber darüber hinaus auch ein Stück Lebens-Qualität. Sei es der Genuss beim Musikhören, das Hören von wichtigen Ankündigungs- oder Warnsignalen wie etwa Telefon, Türklingel und Wecker oder die akustische Orientierung im Alltag, die ohne die Wahrnehmung von scheinbar unwichtigen Umweltgeräuschen in der Wohnung, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, beim Sport oder im Straßenverkehr nicht auskommt. Tatsächlich nutzen wir die akustische Wahrnehmung derartiger Geräusche in viel größerem Umfang als uns bewußt ist.
Der Wert guten Hörens wird in unserer Gesellschaft vielfach unterschätz. Dementsprechend werden Hörprobleme häufig ignoriert, verdrängt und nicht selten als Stigma empfunden. Das erscheint besonders deshalb überraschend und bedauerlich, da unser Leben heute mehr denn je von dem Wunsch und der Notwendigkeit geprägt ist, uns mit anderen Menschen verständigen zu wollen und zu müssen. Das gilt sowohl in der Berufswelt als auch in allen Sektoren des privaten Lebens. Wer sich einmal bewußt macht, wie oft und in welcher unterschiedlichen Situationen er Tag für Tag auf sein Gehör angewiesen ist, kann einschätzen, was ihm an Lebensqualität und Lebensfreude entgehen würde, wenn er auf gutes Hören verzichten müsste.
Das Leben mit der Hörschädigung könnte sich um ein vielfaches einfacher und sinnvoller gestalten, wenn Familie, Kirche und Gesellschaft die Behinderung annehmen, mehr Verständnis aufbringen und von Vorurteilen befreien würde. Nicht die Hörschädigung ist das größte Problem der Betroffenen, viel gravierender ist die Interessenlosigkeit, die Gleichgültigkeit und die Ignoranz ihres gesamten, sozialen Umfeldes. Was nutzen einem schwerhörigen oder ertaubten Menschen sein Wissen, seine Erfahrungen um seine spezifischen Bedürfnisse, wenn seine Umwelt zu ungeduldig ist ihm zuzuhören, zu bequem sich auf sein Verständigungsniveau einzulassen.
Aber Einschränkungen wird es für Schwerhörige immer geben und in größeren Gesprächsrunden stoßen sie an Grenzen. Man bleibt immer ein hörgeschädigter Mensch, aber man kann sein Leben mit Hilfe der Technik wieder besser meistern und man ist nicht mehr so aus-geschlossen. Medizin und Technik zusammen können wahre Wunder vollbringen, das können auch sie erleben, und dafür können wir dankbar sein.